Oh je, wie erkläre ich nun einerseits, wie einfach der Umgang mit Linux ist, und klage andererseits mein Leid, wie schwer der Rechner meiner zukünftigen Schwiegermama einzurichten war…?
Ach, ich schreibe einfach zwei Artikel: einen aus Admin-Sicht, einen – diesen hier – über die Anwender-Sicht.
Linux für Anfänger
Ich gehe davon aus, dass Linux für Computerlaien nicht schwieriger ist als Windows. Und nein, das ist keine graue Theorie aus (m)einem Informatiker-Hirn…
Klar, Computerlaien können einen Linux-PC nicht administrieren. Aber sie können auch keinen Windows-PC administrieren. Den hat jemand anderes eingerichtet, solange er läuft, ist alles gut, und wenn er nicht mehr läuft, fragen sie jemanden, „der sich mit Computern auskennt“.
Wenn die Basis steht, kann man mit einem Linux-Rechner wohl alles machen, was man sich als Nutzer wünscht (erst recht als nicht computer-affiner). Ich zähle es hier nicht auf – „you name it“. Wichtig ist, dass man sich nicht an Programmen orientiert – kaum ein Mensch braucht dringend Word -, sondern an dem, was man erreichen will. Briefe Schreiben geht halt auch mit anderen Programmen. Die sind unter Linux, wie Programme halt so sind: mal gut, mal mittel, mal schlecht. LibreOffice Writer nervt mich wohl ähnlich oft wie Microsoft Word mit versuchter Schlauigkeit, die am Ende doch nur nervende Bevormundung ist.
Meine zukünftige Schwiegermama will ins Web, Texte bearbeiten, Tabellenkalkulation betreiben, Fotos ankucken, mal Mahjongg oder Solitaire spielen. Also habe ich ihr die passenden Programme in der Taskleiste verlinkt: Firefox („Iceweasel“ bei Debian), LibreOffice Writer und (weil ich nicht weiß, ob sie so viele Funktionen überhaupt braucht) KWrite, LibreOffice Calc, Gwenview zum Bilder Anschauen und Digikam zum Bilder Verwalten, KPat zum Solitaire (und „Freecell“!) Spielen sowie KMahjongg. Da sollte sie haben, was sie braucht.
Und während die Schwiegermama ihren Rechner noch nicht in der Hand hatte, hat ihre Tochter schon seit Jahren einen Debian-PC. Der läuft gut und sie hatte daher auch keine Bedenken, als ich vorgeschlagen habe, ihrer Mutter auch so einen einzurichten. Wie gesagt: Es ist keine graue Theorie.
Linux für Fortgeschrittene
Warum hat Linux dann aber so ein schlechtes Image? Zum einen gibt es berechtigte Kritik. Das Hauptproblem von Linux dürfte die schlechtere Treiber-Unterstützung sein. Dafür kann zwar Linux nichts, die Treiber müssten von den Hardware-Herstellern bereitgestellt werden – aber das hilft dem Anwender halt auch nicht weiter. Ein Teil der Ablehnung scheint mir aber auch einfach auf Unwissenheit, Angst oder veralteten Erfahrungen zu beruhen. Und ich sehe noch ein anderes Problem: Leute, die glauben, dass sie sich mit Computern auskennen, die sich in Wirklichkeit aber nur mit Windows auskennen.
Wenn man mit dieser Basis auf Linux trifft, kriegt man Probleme: Die Dinge sind neu, die Dinge sind anders. Man muss um- und dazulernen. Natürlich musste man auch den Umgang mit Windows mal erlernen, aber das ist lange her, daran erinnert man sich kaum noch. Gefühlt war Windows schon immer da, und der Umgang damit erscheint den meisten natürlich. Nicht umsonst werden Windows-Spiele meist „PC-Spiele“ genannt. Windows steht als Synonym für PCs.
Nun kann man offen für Neues sein, die Lernkurve in Kauf nehmen. Unterschiede sehen, Vor- und auch Nachteile finden. Man kann das natürlich auch bleiben lassen und weiter Windows verwenden, kein Problem. Man sollte halt nur nicht Linux dafür verantwortlich machen, wenn es für einen etwas Neues ist und man sich erst einfinden muss.
Linux für Auskenner
Und wie ist es nun mit Linux, wenn man sich mit Computern auskennt? Es fällt mir ehrlich gesagt schwer zu sagen, wie kompliziert der Einstieg heutzutage ist. Da geht es mir wie den Windows-Auskennern: dass ich mich da neu einfinden musste, ist einfach zu lange her. Das war noch im letzten Jahrtausend.
Aber es ist auf jeden Fall so, dass normale Linux-Distributionen wie Ubuntu und selbst Debian einen während der Installation nicht mehr mit zahllosen Fragen nerven. Auch die Zeiten des Kernel Kompilierens sind für die meisten lang vorbei. Es gibt noch Fälle, wo kompiliert wird, zum Beispiel beim proprietären Nvidia-Treiber. Das geschieht aber im Hintergrund. Aus Benutzersicht ist es schlicht so, dass ein neuer Linux-Kernel installiert wird und weiterhin alles geht – während man früher noch den passenden Grafiktreiber dazu besorgen musste und, wenn man das mal wieder vergessen hatte, nach dem Neustart in einer Textkonsole gelandet ist.
Es gibt den Spruch: Wenn bei Windows etwas schiefläuft, ist Windows schuld – wenn bei Linux etwas schiefläuft, bist du schuld. Natürlich ist das beides nicht ganz wahr (ersteres noch weniger als letzteres). Aber es zeigt die Richtung an: Bei Linux bestimmst du über das System. Du kannst in jeden Winkel kucken. Zur Not könntest du sogar in den Quellcode kucken. Und ihn (mit Programmier-Kenntnissen) sogar anpassen. Vielleicht ist es auch das, was manche abschreckt (und ehrlich gesagt hinterlässt mich das auch ab und zu mit einem schlechten Gefühl): Wenn es nicht geht, dann hast du es meist einfach nicht gut genug verstanden. Windows taugt als Ausrede. Linux nicht.
Fazit
Ich sehe für Anfänger kaum Probleme mit Linux, die sie mit Windows nicht auch hätten. Sie müssen höchstens bei der Hardware-Beschaffung mehr aufpassen (lassen). Und sie brauchen im Notfall jemanden, der sich mit Linux auskennt.
Auskenner, die Linux noch nicht verwenden, sollten dem System eine Chance geben. Wenn sie es vor Jahren schon mal versucht haben und es nicht geklappt hat, lohnt sich ein neuer Blick. Ob man allein mit Linux glücklich wird, parallel ein Windows hat (wie ich es für Spiele bis 2014 auch hatte) oder es wieder von der Platte fegt, ist ja jedem selbst überlassen. Ich will niemanden zu Linux bekehren – ich will höchstens zu einem Versuch ermuntern.
Dazwischen gibt es die, die sich in Windows eingearbeitet haben. Die können es natürlich auch gern probieren, sie müssen sich aber bewusst sein, dass das System anders ist – auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht unbedingt so anders aussieht. Man muss umdenken. Dazu muss man bereit sein. Aber zu verlieren gibt es nichts; man kann die Linux-Partition ja immer noch löschen, wenn man sie nicht mehr haben will. Man muss auch bereit sein, nicht in Programmen, sondern in Zielen zu denken. Wer nur Briefe schreiben will, dabei aber auf Microsoft Word besteht, der wird mit Linux nicht glücklich werden.
Und wie hältst du es, lieber Leser, mit den Betriebssystemen im Allgemeinen und Linux im Besonderen?