Das neue Adventure der Pendulo Studios, der Macher der (guten) Runaway-Serie und von The Next Big Thing (das ich noch nicht gespielt habe), heißt Der Fall John Yesterday.
Nach dem Prolog, in dem wir zwei Figuren auf der Suche nach Obdachlosen in einen verlassenen U-Bahnhof führen, erfahren wir… nicht viel. Wir übernehmen die Hauptfigur, John Yesterday, der nach einem Selbstmordversuch sein Gedächtnis verloren hat. (Amnesie ist ja eine echte Seuche unter den Computerspiel-Protagonisten.) Er ist Forscher und wird von einem reichen Gönner wieder auf die Suche nach einer Sekte geschickt, die mit Morden an Obdachlosen in Zusammenhang stehen soll.
Trotz der düsteren Story haben die Pendulo Studios wieder auf Comic-Grafik gesetzt, diesmal sogar noch konsequenter als bei ihren bisherigen Spielen. Die Untertitel, die man aus mir unerfindlichen Gründen bei den meisten modernen Adventure-Produktionen trotz Vollvertonung erstmal abschalten muss, lassen sich hier nicht deaktivieren. In Comic-Textboxen beziehungsweise Sprechblasen geben sie den Text stilgerecht wieder und gehören so zum Gesamtkunstwerk.
Klickt man einen Gegenstand mit dem Lupen-förmigen Cursor an, um ihn zu untersuchen oder zu nehmen, wird erstmal ein vergrößertes Panel eingeblendet. Dort hat man wieder eine Lupe, die, wenn man ein Detail anklickt… dafür sorgt, dass das Panel wieder verschwindet. Es hat mich ein bisschen Eingewöhnungszeit gekostet, dass die Vergrößerung eben nicht der Untersuchung von Details dient, sondern ein reines Stilmittel ist.
Beim Verwenden von Gegenständen, die man mit sich trägt, hört mein Verständnis für die Innovationen auf. Man muss sie nach oben ziehen, um sie benutzen zu können. Fallen Lassen über einem Interaktionspunkt der Szene führt dann direkt zur Aktion, also eine Drag-and-Drop-Steuerung. Bei einfachem Anklicken wird der Gegenstand nur untersucht. Will man also zwei Dinge aus dem Inventar kombinieren, muss man das eine nach oben aus dem Inventar ziehen, um es dann wieder runter auf das andere führen zu dürfen. Unnötig. Ich verstehe ja den Drang, das uralte Point-and-Click-Interface etwas modernisieren zu wollen, aber man sollte sich nachher doch kritisch fragen, ob man es tatsächlich besser gelöst hat als hunderte Spiele zuvor.
Die Kritik der Gamestar an den Hotspots kann ich hingegen gleich aus zwei Gründen nicht nachvollziehen: Zum einen finde ich es wunderbar, wenn man Gegenstände, die man bewegen oder nehmen kann, mal nicht gleich an ihrem pixeligen Rand erkennt. Zum anderen hatte ich keine großen Probleme, die Hotspots im Spiel zu finden – und das aufmerksame Durchsuchen der Szenen gehört für mich zum Spaß dazu. Wer schrieb noch mal so schön, dass die, die immer gleich die Hotspot-Anzeige verwenden, das Recht verwirkt haben, sich über die Spieldauer zu beschweren? (Es war das Handbuch zu „Die Vieh Chroniken“.)
Hat man die Anfangsschwierigkeiten überwunden, wird man durch eine etwas verwirrende (oder verworrene?) Geschichte geführt. Man merkt schnell, dass etwas faul ist, und bekommt auch so eine Ahnung, was da nicht stimmen könnte. Die umheimlichen Wendungen der Geschichte werden einen aber dennoch überraschen.
Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Sehr gefallen hat mir der schmierige Angestellte des Hotels, in dem John seine Nachforschungen beginnt. Er bietet John Frauen an – mit einem kleinen Preisnachlass, wenn er zusehen darf. Er geht auch wie selbstverständlich davon aus, dass der Umschlag, den John vor seinem Selbstmordversuch hinterlegt hat, nur schmutzige Fotos enthalten könne. Und einer der Charaktere aus dem Prolog, Cooper, muss bei jeder Aktion an traumatische Kindheitserlebnisse denken, als er von seinem Chef-Pfadfinder zur Minna gemacht wurde.
Die Vertonung ist mir bis auf den sehr guten Erzähler nicht aufgefallen, ebenso die Übersetzung. Das ist ein gutes Zeichen. Ich denke, es verhält sich da so, wie man es vom Schiedsrichter im Fußball sagt: Wenn man ihn nicht bemerkt hat, hat er seine Sache gut gemacht.
Pendulo Studios hat das Spiel denen gewidmet, die sich um Obdachlose kümmern, speziell der französischen Organisation „Kinder des Don Quichotte“. Ich finde das gut. Natürlich wird es die Welt nicht aus den Angeln heben, aber wenn man ein Medium verbreitet, wenn man für kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Menschen hat, kann man diese Chance auch nutzen.
Das Spiel hat mich nur ein Wochenende unterhalten; die Stunden habe ich nicht gezählt. Aber es ist auch für einen fairen Preis von 30 bis 35 Euro erhältlich. Eine Demo gibt es auf der Website zum Spiel. Wer sich mit einer nicht ganz optimalen Steuerung anfreunden kann, wird bei Der Fall des John Yesterday mit einer spannenden, wenn auch gerade darum zu kurzen Geschichte in stimmiger Comic-Grafik und guter Vertonung belohnt.
Die Screenshots unterliegen dem Copyright von Crimson Cow, siehe auch hier.