Letztens meinte ich zur tollsten Frau vonne Welt, ein Computerspiel könne alles, was auch ein Spielfilm kann. Aber eigentlich war das übertrieben. Natürlich könnte man ausschließlich Video zeigen – aber dann wäre es kein Spiel mehr. Interaktion muss sein, und Interaktion erweitert auf der einen Seite die Möglichkeiten enorm, schränkt sie auf der anderen Seite aber auch ein.
Die Diskussion hatte sich entsponnen an Bioshock Infinite. Ein Ballerspiel. Eins, das die Möglichkeiten des Mediums Computerspiel ausnutzt, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Das diese Möglichkeiten vielleicht sogar erweitert.
Vor einigen Wochen habe ich das Spiel für Windows gekauft, nachdem sowohl Gamestar als auch PC Games es in den Himmel gelobt hatten, vor allem für seine Geschichte, vor allem für sein Finale. Bioshock Infinite kommt auf drei DVDs und verlangt nach 20 bis 30 GB Festplattenplatz. Ich habe meine Windows-SSD dafür komplett von anderen Spielen freiräumen müssen. Als ich losgespielt habe, war die tollste Frau vonne Welt gerade unterwegs. Als sie wiederkam, war ich von den ersten Stunden des Spiels wie hypnotisiert.
Der Vorspann klärt einen auf, dass das Spiel im Jahr 1912 spielt. Der Protagonist Booker DeWitt wird in einer seltsamen Stimmung von zwei Leuten in einem Ruderboot zu einem Leuchtturm gebracht. Sie scheinen ihn gar nicht für voll zu nehmen und reden über ihn, als ob er nicht dabei wäre. Er erfährt, dass er ein Mädchen abliefern soll, um eine Schuld zu tilgen – viel mehr aber auch nicht.
Nachdem man durch stimmungsvolle Landschaften geirrt ist, darunter eine wunderschön dargestellte überflutete Kirche, landet man in einer Stadt, die über den Wolken schwebt. Man läuft durch die Gegend, schnappt ein paar Gespräche auf, besucht einen Jahrmarkt. Und schon hier merkt man, dass mit der Stadt etwas nicht stimmt. Sie wird von einem „Propheten“ beherrscht. Es gibt eine Untergrundbewegung. Und Rassismus scheint alltäglich zu sein. Als man aufgefordert wird, an einer Jahrmarktsbude ein schwarz-weißes Paar mit einem Ball zu bewerfen, wird man (ob man es tut oder nicht) angegriffen und das eigentliche Spiel geht los.
Es entwickelt sich ein Ballerspiel aus der Ego-Perspektive. Wie sich das gehört, kann man verschiedene Waffen verwenden, die man in der Stadt findet, man kann seinen Energievorrat auffrischen und man entwickelt im Laufe der Zeit „Kräfte“, die man, wenn man genug Salze (fragt mich nicht…) gesammelt hat, gegen die Feinde richten kann. Nach einer Weile findet man die junge Frau, die man abliefern soll, und die einen ab da begleitet. Man profitiert dann auch von ihren speziellen Möglichkeiten. Außerdem gibt es ein Transportsystem mit Schienen, die durch die Luft führen, das man im Kampfgeschehen nutzen kann.
Da ich gelesen hatte, dass das Spiel in der normalen Stufe zu leicht sei und auch die Beschreibung der Schwierigkeitsgrade besagte, dass man die schwere Stufe nehmen sollte, wenn man schon öfter mal geballert hat, habe ich das getan. Ich vermute, ich bin einfach nicht gut genug, aber für mich war das doch bei einigen Kämpfen gegen besondere Gegner eine große Herausforderung. Ich hab am Ende für das Spiel 27 Stunden gebraucht. Die Redakteure einer Spielezeitschrift berichteten von 11 Stunden. Wer mehr die Geschichte erleben will und keine Lust hat, dabei von einem Kampf lange aufgehalten zu werden, weil man ihn vielleicht ein oder zwei Dutzend Mal versuchen muss, sollte vielleicht doch den normalen Schwierigkeitsgrad nehmen. Oder einfach deutlich besser sein als ich.
Bioshock Infinite hat hervorragende Kritiken bekommen, die Durchschnittswertung ist laut Metacritics 94 von 100. Nachdem ich es eine Weile gespielt hatte, habe ich mir das Video von „TotalBiscuit“ dazu angesehen. Er begründet zuerst, dass es schwierig ist, ein so hochgelobtes Spiel glaubwürdig zu kritisieren, und kritisiert es dann. Er hat sicherlich in einigem Recht. Die Spielmechnik von Bishock Infinite ist keine 94 Punkte wert. Ich könnte hier eigene Kritik äußern oder die von TotalBiscuit wiedergeben. Aber das möchte ich nicht. Das Kunstwerk wird davon nicht beeinträchtigt.
Als es auf das Finale zulief, war ich wieder wie hypnotisiert von dem Spiel. Dann kam der letzte Kampf, der mich leider stark herausgefordert und mehrere Tage aufgehalten hat. Als ich dann das Ende des Spiels erlebt hatte, saß ich fasziniert vor dem Abspann. Der ist wie inzwischen üblich sehr lang, aber zum einen brauchte ich die Zeit, um darüber nachzudenken, was da gerade geschehen war, zum anderen wird er von einem wunderschönen Lied begleitet. Oder vielleicht hat sich das Lied auch nur so eingeprägt, weil ich es in diesem Moment gehört habe. In jedem Fall sollte man den Abspann bis zum Ende sehen. Da kommt noch was. Wenn ich es auch logisch nicht mit dem Rest der Geschichte verknüpft kriege.
Es gibt zu Bioshock Infinite seitenlange Erklärungsversuche im Internet, ich verlinke hier exemplarisch zwei davon. Wer das Spiel jemals spielen könnte, sollte das vorher nicht lesen: Spoiler Deutsch, Spoiler Englisch.
Ich hatte angedeutet, dass die einem Spiel grundsätzlich innewohnende Interaktivität Segen und Fluch sein kann. Es ist schwieriger, bewegende Szenen zu erschaffen, wenn der Spieler tun kann, was er will. Je weniger Freiheit der Spieler hat, desto weniger fühlt es sich für ihn aber nach Spiel an. Andererseits beobachtet man in einem Film ein Dilemma nur. Es passiert einem anderen. In einem Spiel passiert es dir selbst. Und das macht die ganz besondere Faszination von Bioshock Infinite aus.