Die Kuno Krissler Medaille 2012 geht an…

… einen anonymen Nutzer der Wikipedia.

Heute schrieb jemand auf der Diskussionsseite zum Wikipedia-Artikel Kuno Krissler: Ich bin überzeugt, dass es Kuno Krissler nie gab. Er ist die Erfindung des münchner Architekten und Zeichners Hubert Schelle. Trotzdem: eine schöne Erfindung. Dieser Hinweis wurde von der Mitarbeiterin Elya zur Auskunft getragen. Schnell kristallisierte sich heraus, dass da etwas nicht stimmt.

Werk von "Kuno Krissler"
Werk von „Kuno Krissler“
Freigegeben von Hubert Schelle
unter der Lizenz CC-by-sa/2.0

Krissler lebte laut Artikel von 1894 bis 1986 und war Zeichner und Architekt sowie „Zeitgenosse und Kollege von Clemens Holzmeister, Luis Trenker und Lois Welzenbacher.“ Unklar bleibt, was Krissler mit Trenker zu tun haben sollte, der als Bergsteiger, Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller in die Geschichte eingegangen ist. Zeitgenosse ist man ja von vielen Menschen, da muss ich jetzt keine zweifelhaften Beispiele nennen…

Die Google-Buchsuche liefert, eingeschränkt auf das vergangene Jahrhundert, nur zwei Treffer zu dem Namen: Ein Architekturbuch sowie „Der Rebell“ von Luis Trenker (1933). In beiden Büchern findet die Volltextsuche dann aber keinen Hinweis mehr auf einen Krissler. Der Zusammenhang zu den Büchern bleibt unklar; vermutlich kommt in Trenkers Roman eine Figur dieses Namens vor.

Sucht man auch in aktuellen Büchern, stößt man auf nur zwei Werke, in denen der Name tatsächlich erwähnt wird: „Autochthone Architektur: das zeichnerische Werk Kuno Krisslers“ von Hubert Schelle sowie „Richard Wagner für Fortgeschrittene“ von Herbert Rosendorfer.

Besucht man die Website der „Internationalen Kuno Krissler Gesellschaft“, trifft man auf alte Bekannte: Ehrenpräsident ist Herbert Rosendorfer, erster Vorsitzender Hubert Schelle. Die Website ist einen Besuch wert, die Texte sind teilweise surreal.

Dort steht dann auch, dass vom angeblichen Architekten nie etwas gebaut worden ist: „Krissler ist ein Architekt gewesen, dessen Entwürfe, wären sie denn realisiert worden, nichts weniger als die komplette moderne Architektur umgekrempelt hätten.

Haben wir also einen Architekten, von dem nie etwas gebaut und über den zu Lebzeiten nie etwas geschrieben wurde? Ein verkanntes Genie? Eher nicht.

Zu zahlreichen Menschen, die auf der Website zu Kuno Krissler Erwähnung finden, lässt sich ein Verbindung zur Neuen Frankfurter Schule von Schriftstellern, Zeichnern und Satirikern und ihrem Satiremagazin Titanic ziehen: Eckhard Henscheid (hier erwähnt) war Mitbegründer der Titanic, der „zweite Vorsitzende“ Dieter Steinmann ist von der Titanic (Korrektur, 21. April 2012: Er ist nicht von der Titanic. Er war aber Kurator einer Ausstellung zur Neuen Frankfurter Schule und Herausgeber von F. W. Bernstein.), der Zuständige für das „Refererat für Grafik“, Fritz Weigle, ist als F. W. Bernstein bekannt und ebenfalls Mitbegründer der Titanic, und auch Hubert Schelle gehört zum Titanic-Umfeld. Und der ursprüngliche Autor des Wikipedia heißt… „H.Schelle“.

Damit wurde eine Fälschung aufgedeckt, die seit 2006 in der Wikipedia stand. Und die sogar Eingang in die Personennamendatei (PND) der deutschen Nationalbibliothek gefunden hat. Die Website zu Kuno Krissler behauptet, in seinem Namen wäre jährlich eine Medaille vergeben worden (die sonst nirgendwo Erwähnung findet). Für diese Medaille möchte ich dieses Jahr den anonymen Nutzer vorschlagen, der die Fälschung aufgedeckt hat.

Ich habe den Wikipedia-Artikel heute gelöscht und auch die Zuständigen für die Personennamendatei angeschrieben.

… und wie es in der Wikipedia so ist: Für jede Entscheidung findet sich jemand, der sich darüber aufregt. Jemand fand, dass so ein „intelligenter Scherz“ doch nicht gelöscht werden sollte.

Ich bin da anderer Meinung.

Die Wikipedia möge gerne Platz für das Wahre, das Schöne und das Gute bieten. Solang die drei harmonieren. Wenn sie aber in Konflikt stehen, wie hier, hat in der Wikipedia das Wahre Vorrang, und das Gute oder Schöne muss zurücktreten.

Ich möchte diesen Beitrag aber nicht enden lassen, ohne zu sagen, dass ich höchsten Respekt vor dem Werk der Neuen Frankfurter Schule habe – und einige Jahrgänge Titanic im Schrank. Aber… die Wahrheit geht vor. Und ist ein Scherz nicht eh nur dann lustig, wenn er eines Tages aufgelöst wird?

10 Gedanken zu „Die Kuno Krissler Medaille 2012 geht an…“

  1. Das war`s ja dann wohl. Kuno Kritzler (Kissler) möge in Frieden ruhen. Leider wurde mir die schöne Medaille weder 2012, 2013 noch 2014 verliehen. Sei`s drum. Ich erwarte allerdings demnächst die „Watzlav Capsugel Medaille“. Auch sehr dekorativ. Gruß an viele: W.Asmussen.

    1. Ja, das war’s wohl mit Kuno Krissler. Ich find’s nur schade, dass seine Erfinder erst noch ein bisschen nachtreten mussten (siehe unten), bevor sie ihre Schöpfung aufgegeben haben…

      1. Werter Herr Sauer

        ich muss Sie leider enttäuschen, das war’s noch nicht mit Kuno Krissler. Über 3 Jahre nach dem Vorfall ist er immer noch quicklebendig und die gerade enstehende umfassende Werkmonographie kommt gut voran. Nicht zuletzt Dank Ihrer Hilfe, die den Visionär der endgültig der Vergessenheit entrissen hat. Dafür nochmals Dank im Namen der Internationalen Kuno Krissler Gesellschaft

        Ihr H.Schelle

        p.s. Aber was muss ich lesen: Ihnen sind die Adminrechte für Wikipedia entzogen worden?
        Weil Sie zu voreilig Artikel löschen?

        1. Ich weiß nicht, wo sie diesen Irrtum herhaben. Ich hab meine Adminrechte mal an den Nagel gehängt, habe mich aber später wieder wählen lassen und bin auch weiterhin Wikipedia-Admin.

  2. Der „Denunziant“ bin ich. Mir lag es aber fern, die ganze Krissler Story schlecht zu reden. Im Gegenteil: Für einen guten Scherz bin ich immer zu haben. Dennoch: Der Zeichenstil und die Handschrift Krisslers sind doch zu sehr Schelle. Da hätte mehr Zurückhaltung gut getan. Sorry, Hubert.

  3. Werter Herr Sauer,

    kürzen wir das Trauerspiel ab.
    Das wird nix mehr mit Ihrer Argumentationskette. Nicht in diesem Leben!
    Dazu sind Sie viel zu befangen in Ihrer Idee, die Titanic könnte hinter all dem stehen. Sie recherchieren schlampig, lesen nicht mal ihre eigene Bibel Wikipedia, verlassen sich nur auf fadenscheinige Quellen, ohne sich mit Krissler selbst und seiner Biographie zu befassen.

    Mal ehrlich, unter uns zwei Pfarrerstöchtern:
    Bevor Sie sich weitere Blößen geben, warum schreiben Sie hier nicht einfach die Wahrheit?

    Sie haben von einem Informanten/Denunzianten gesteckt bekommen, dass Krissler eine Erfindung ist. Es gibt eine Hand voll Leute, die aus persönlichen Rachegelüsten der Gesellschaft ans Bein pinkeln wollen.
    Damit und mit dem Rauswurf aus Wiki können wir gut leben, zumal der Vorfall mehr Aufsehen zu erregen scheint als der Artikel selbst.

    Bitte tun Sie uns noch den Gefallen, um den ich Sie in meiner Mail gebeten habe, und damit Schluss mit dieser peinlichen Angelegenheit.

    Hubert Schelle
    im Namen der IKKG

    p.s.
    Vielleicht schaffen Sie es ja mit Ihrer Tat in einem der nächsten Romane Rosendorfers ein kleine Gastrolle zu bekommen. Ich lege mal ein gutes Wort für Sie ein.

    1. Ich bedaure, dass Ihr erklärtes Ziel ist, „Aufsehen zu erregen“. Mir ist wie gesagt anderes wichtiger.

      Ich würde sofort „die Wahrheit“ schreiben – aber ich kenne sie nicht.
      Ich kann nur die mir bekannten Indizien darlegen. Die sprechen dafür, dass Kuno Krissler nie existiert hat.
      Und ich kann mich korrigieren lassen, wo ich mich geirrt habe. Fiktionale Romane sind aber zum Beispiel nicht geeignet, solch einen Irrtum zu belegen.

  4. Tja, im Brockhaus darf man natürlich nicht nachsehen! Für die Wahrheit gibts doch Wikipedia.

    Zum Thema Kuno Krissler in der Literatur Rosendorfers:
    Rosendorfer baut in alle seine Romane reale Personen ein, er versteigert sogar an und ab Romanfiguren für einen guten Zweck. Wenn Sie sich mal durch einem Rosendorferroman bewegen wollen, einfach ausreichend spenden, aber nicht sagen, dass Sie den Krisslerartikel aus Wikipedia gekickt haben. Das nimmt er persönlich, ganz besonders die Tatsache, dass er auch nicht mehr als Ehrenpräsident der Gesellschaft in Wiki geführt wird.
    Rosendorfer hat Krissler nämlich sehr ins Herz geschlossen und baut ihn immer wieder mal in seine Romane ein. Krissler hat ja unter andrerem das Grabmal für seinen oben erwähnten heiß geliebten Großonkel entworfen.

    Woher ich das alles weiß?
    Tja, im Gegensatz zu Ihnen habe ich die Krisslerbiographie gelesen,
    Und der erste Vorsitzende der Krissler Gesellschaft ist mit mir verwandt. Während meines Praktikums in seinem Architekturbüro durfte ich öfter auch für die Krisslergesellschaft arbeiten (bringt mir übrigens einen kleinen Platz im neuen Rosendorferroman ein)

    Torsten Wernher
    cand.arch.

    p.s.
    der Mogul mit den abstehenden Ohren läßt sich übrigens im Roman eine avantgardistische Villa nach einem Entwurf Krisslers bauen
    Das Bauwerk ist im Roman mehrfach abgebildet.
    Auch da steckt natürlich die Titanic dahinter!

  5. Ziemlich lausig recherchiert!
    Mit etwas mehr Sorgfalt hätten Sie feststellen können, dass Luis Trenker, lange vor seinem ersten Filmen, ein Architekt in Bozen war. Eine zusammen mit Clemens Holzmeister entworfene Mustersiedlung z.B. können Sie heute noch besichtigen. (Lageplan bei Bedarf)
    Im übrigen sagt meine, durchaus umfangreiche, Literatur üner die NFS nichts, aber auch gar nichts über einen Dieter Steinmann und einen Hubert Schelle.
    Dafür kenne ich mindestens noch ein Buch, in dem der vergessene südtiroler Architekt Kuno Krissler erwähnt wird. „Der Mann mit den goldenen Ohren“ Köln 2009, ebenfalls von Herbert Rosendorfer, dessen Eggentaler Großonkel Zimmermeister war und mit Krissler, während seiner südtiroler Jahre zusammengearbeitet hat.

    T.Wernher
    cand.arch.

    1. Die Leistungen Luis Trenkers in der Architektur sind mir tatsächlich nicht bekannt. Meinem Brockhaus in 26 Bänden allerdings auch nicht. Es bleibt für mich dabei, dass Trenker nicht als Architekt „in die Geschichte eingegangen ist“, auch wenn er mal Architekt gewesen ist.

      Zu Hubert Schelle sagt der Link im Beitrag genug: Ein „Schüler von F.W. Bernstein“, stellt aus „zusammen mit F.W. Bernstein, Robert Gernhardt, F.K. Waechter“. Wenn das nicht „Titanic-Umfeld“ ist, was dann?

      Dieter Steinmann war Gastkurator der Ausstellung „Wer darf Satire? – 30 Jahre Neue Frankfurter Schule“ und Herausgeber von F. W. Bernstein. Dass er „von der Titanic“ wäre, wie ich schrieb, dürfte aber ein Irrtum sein.

      Bei dem Buch, dass Sie erwähnen, beschleicht mich dann aber doch das Gefühl, Ihr Beitrag wäre unernst gemeint. Das Buch ist, wie wir beim Verlag (http://www.kiwi-verlag.de/das-programm/einzeltitel/?isbn=9783462040777) erfahren können, ein „selbstironisches“ „Insel- und Liebesabenteuer“ auf einer „fiktiven Insel“. Trifft darin „der Mogul, dessen abstehende Ohren in der Abendsonne golden leuchten“, wie der Verlag weiter schreibt, einen Herrn Kuno Krissler? Und schließen Sie daraus auf dessen Existenz?

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