Einige kleine Nachtmusiken

Am Samstag Abend habe ich nichts Böses ahnend auf dem Sofa gelegen (endlich mal seine „Relax-Funktion“ nutzend) und ein Lustiges Taschenbuch gelesen. Die tollste Frau vonne Welt hat ebenfalls gelesen, im Schlafzimmer. Doch plötzlich brach unten auf der Straße ein Jubel los wie bei einem Tor in einem Oberliga­spiel.

Ich bin auf den Balkon gestürmt, und da unten standen tatsächlich bestimmt 100 Menschen.
Was war da los?!?

Und als ich da so stand und mich wunderte… fing eine Nachbarin auf einem Balkon auf der anderen Straßenseite an zu singen. Ich bin zur tollsten Frau vonne Welt gelaufen und habe sie auf den Balkon gezer… gebeten. Da erzählt sie mir, ja, davon hätte sie gehört, das sei eine Aktion, bei der Leute für ihre Nachbarschaft singen. Na toll, tollste Frau vonne Welt! Davon hättest du mir auch ruhig mal erzählen können! Sie hat ein paar Bilder geschossen, aber als die Menge sich aufmachte zum nächsten Musik-Punkt, haben wir uns schnell fertiggemacht und sind mitgelaufen.

Eine Frau mit Megafon sagte die Stationen an und ab. Als nächstes kam ein Chor im Park, der mehr­stimmig Popsongs zum besten gab. Bei der Zugabe wollten sie die Menge zum Mitsingen bewegen („Ghostbusters!“), aber die meisten waren dann doch zu schüchtern.

Abbildung ähnlich

Ein paar Meter weiter, bei der Punkkneipe, über der seit langem das Transparent „Wohnen gegen das Niveau“ hängt und wo man Franz Josef Strauß zum Todestag gratuliert hat, zeigte uns erstmal jemand durch’s Fenster seinen Mittelfinger. Auf einem Balkon nestelten ein paar an etwas herum, was sich in der Dunkelheit nicht erkennen lies, sonst regte sich nichts. Ich war mir sicher, dass sie die Veranstalter verarscht hätten. Doch dann kam ein Mann auf einen Balkon, ein leicht verwirrt wirkender Chilene, hat zur Gitarre gesunken und wollte uns motivieren, „Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer!“ anzustimmen.

Zwischendurch hat auch ein Polizeiwagen vorbeigeschaut, sich durch’s Megafon darüber gewundert, dass die Aktion zwar in der B.Z. gestanden habe, nicht aber angemeldet worden wäre, war aber insgesamt ent­spannt und hat uns gebeten, dem Verkehr so viel Platz wie halt möglich einzuräumen. Selbst bei den Punks war man friedlich und hat ihnen nur eine einzige Silvesterrakete zur Begrüßung rübergeschossen.

So hatte das Punk-Haus ja schon sein Musik-Versprechen erfüllt, aber was dann kam, war der größtmögliche Kontrast: Ein klassischer Sänger, begleitet am Cello, sang… nun, Klassik. Ich habe keine Ahnung davon, aber ich bin mir sicher, dass das ein Profi war. Und das zwei Etagen überm Punk-Schup­pen! Wenn ich mich nicht verhört habe, hat er auch aus Gute Nacht aus Schuberts Winterreise gesungen – dem Lied, mit dem Jürgen Kuttner jahrelang melancholisch aus seinem „Blue Moon“ entlassen hat.

Weiter ging es zu einem Balkon, wo wohl sein Vater seine Familie angemeldet hat. Sie haben „Ein Männlein steht im Walde“ gesungen. Leider haben sich die Kinder wohl nicht so richtig getraut. Aber die gut gelaunte Menge forderte eine Zugabe und bekam „Häslein, hop!“

Wir waren ein wenig geschafft von einer Geburtstagsfeier am Abend zuvor, aber mit „Häslein, hop!“ wollten wir den Abend dann doch nicht ausklingen lassen. Also noch einen Balkon. Die Darbietung wurde mit „Naturgeräuschen“ angekündigt, im Internet steht etwas von Obertoninstrumenten. Oder, wie ein Junge hinter uns bald sagte: „Lanweilig!“

Aber wir wollen uns nicht beklagen, sondern allen Beteiligten zu ihrem Mut und ihrem Engagement gratulieren, vom Profi über die Oberton-Macher bis zum Häschen. Die Veranstaltung, so haben wir nachher erfahren, hieß „Die Nacht der singenden Balkone“, initiiert von zwei Menschen namens Polly und Bob. Danke, Polly! Thanks, Bob!

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